Essay

Essay zur Berufsgeschichte
● Anno 1590
Zu diesem Zeitpunkt begann die Glasmacherei im Thüringer Wald Fuß zu fassen. Seitdem wurde das Profil des Glases permanent und charakteristisch geprägt. In besonderer Weise gilt das für die künstlerische Gestaltung dieses faszinierenden Materials. Generationen hervorragender Glasmacher und Glasmeister, Glasbläser und Künstler bereicherten nicht nur die Thüringer Glaskunst mit immer wieder neuen Glasarten, Techniken, Sortimenten und Formen.

● ab 1700
Während die Glasherstellung und Anfertigung verschiedenster Erzeugnisse in Glashütten bereits 5000 Jahre alt ist, existiert die “Arbeit vor der Lampe“ erst etwa seit dem 17.Jahrhundert. Diese Art der Glasgestaltung zählte von Anbeginn an zu den seltenen Handwerken und war zuerst in Venedig beheimatet. Etwa um 1700 gelangte diese Glasbläserkunst nach Thüringen, nach Lauscha. Hier konnte man nun aus in der heimischen Glashütte vorgefertigten Glasröhren und Glasstäben vor der mit Luftzufuhr gespeisten Flamme einer Öllampe das Glas wieder erweichen und durch Blasen und Modellieren in vielfältige Formen bringen. Die ersten Erzeugnisse wurden vornehmlich für Adel und reiches Bürgertum gefertigt. Obwohl man nur geringe Arbeitsmittel benötigte, verhinderte die der Glasgeschichte typische strikte Geheimhaltung lange Zeit eine Ausbreitung. Die frühesten Erzeugnisse, die Fabrikation von Glasperlen, erhielt ihren hauptsächlichen Aufschwung als sich 1789 Sonneberger Spielzeugverleger von der Meininger Staatsregierung ein Privileg für den allgemeinen Vertrieb von Glasperlen gewähren ließen. Der endgültige Durchbruch der Lampenarbeit gelang dem Glasschleifer und Tüftler Johann Georg Greiner aus Lauscha mit der Einführung eines präzisen Blasebalges. Auf Grund dieser technischen Verbesserung gesellten sich zu den Glasperlen weitere Erzeugnisse wie Glasapparate, technische Laborgläser, Christbaumschmuck, Glastiere und Glasfiguren. Hinzu kommt noch eine Reihe spezieller Erzeugnisse wie Tier- und Puppenaugen für die Spielzeugindustrie, Tieraugen für Präparationszwecke und vor allem unser Metier, die von Ludwig Müller-Uri (1835) entwickelt und hergestellten künstlichen Menschenaugen, für deren Herstellung besonderes künstlerisches Einfühlungsvermögen nötig ist.

Kenntnisse der verschiedensten Disziplinen, Rohstoff- und Werkstoffkunde, Farbenlehre, medizinische und ästhetische Anatomie, Anthropologie, Physiologie, (einfühlsame) Psychologie und künstlerisches Empfinden sind nötig, um letztendlich durch handwerkliches Geschick die Theorie in die Tat umsetzen zu können.
Die Beherrschung der Herstellungstechnologie und das Verständnis der Gesetze, denen der Werkstoff Glas unterworfen ist, bilden die Grundlage. Manuelle Kunstfertigkeit, naturwissenschaftliche Kenntnisse, intuitives “Fingerspitzengefühl“ und in besonderem Maße viel Geduld und Liebe zu diesem Beruf führen bei entsprechender Berufserfahrung und Praxis zu bewundernswerten Erfolgen. Außerordentliche Bedeutung kommt der Fabrikation und stetigen Entwicklung von Augen aus Glas zu. Es begann mit der Herstellung einfacher Tier- und Puppenaugen für die Spielzeugindustrie, Tieraugen für Präparationszwecke und gipfelte in der Entwicklung individuell angepasster Kunstaugen.
Die deutsche Augenprothetik verdankt dem Würzburger Augenarzt Prof. Adelmann und dem Lauschaer Glasbläser Ludwig Müller-Uri (1811-1888) den entscheidenden Impuls auf dem Wege zu einer exakten medizinisch-prothetischen Disziplin. 1835 legte Müller-Uri im thüringischen Lauscha den Grundstein. Es brauchte nur wenige Generationen bis man optimale Materialien gefunden hatte und den anatomischen Erfordernissen Rechnung tragen konnte. Viele der deutschen und europäischen Augenprothetiker und Okularisten besitzen in Lauscha ihre Wurzeln und Ihre aus Thüringen stammenden Vorfahren oder Lehrmeister waren es, welche sie schulten.

● ab 1900
Noch nach über 100 Jahren der Einführung der Lampenarbeit gab es für die gesamte Lauschaer Glasbläserei weder ein organisiertes noch für alle verbindliches Aus- und Weiterbildungssystem. Die Kinder wuchsen im Rahmen der Heimarbeit im Elternhaus in den jeweiligen Beruf hinein. Die Berufstätigkeit der Glasbläser “vererbte“ sich von den Eltern auf die Kinder, von Generation auf Generation. Obwohl sich diese Form der Berufsqualifizierung lange als ausreichend bewährt hatte, stellte die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung einhergehend gestiegenen Qualitätsansprüche an die Erzeugnisse insbesondere auch im Hinblick auf die künstlerische Gestaltung die Forderung nach neuen und besseren Ausbildungsmethoden. Die Gründung einer “Zeichen- und Modellierschule“ für Interessierte während der Abendstunden bildete 1881 diesbezüglich den Grundstein. Mit der Eröffnung der “Kunst- und Gewerbeschule“ 1904, 1905 in “Kunstgewerbliche Fachschule“ umbenannt, war eine berufsbildende Schule für eine fundierte und intensive kunsthandwerkliche Ausbildung des Nachwuchses geschaffen. Im Zuge einer zentralen Steuerung durch das Volksbildungsministerium wurde in der Weimarer Republik ab 1923 der Schulbesuch für die Lehrlinge aller Glasberufe obligatorisch. Die neu geforderten allgemeinbildenden Fächer erfolgen nun parallel zum fachspezifischen, glastheoretischen Unterricht.

1912 kam es unter Vorsitz Felix Müller-Uri’s (Enkel von Ludwig Müller-Uri) zur Gründung des "Verbandes deutscher Fabrikanten künstlicher Menschenaugen" um Qualitätsstandards zu sichern. Die Gemeinsamkeit zahlte sich zunächst nach Ausbruch des 1. Weltkrieges aus. Durch Kriegseinwirkungen wurden viele Kunstaugen benötigt. In einer Lauschaer Schule richtete man ein Lazarett zur Erstversorgung ein. Ansonsten wurden Verletzte über Krankenkassen und Versorgungsämter mit Kunstaugen ausgerüstet. Dort legte man Musterkollektionen aus, nach denen künstliche Augen bestellt und in Lauscha gefertigt werden konnten.
Materialmäßig brachte für die deutsche Augenprothetik die Zeit nach dem 1. Weltkrieg schlechte Bedingungen. Von den 4 Lauschaer Glashütten, die für alle Augenkünstler Deutschlands des gesamte Material erschmolzen, arbeitete nur noch eine einzige in beschränktem Maße. Alte Bestände wurden restlos aufgearbeitet und neu erzeugte Glasröhren und -stäbe wie Lebensmittel rationiert. Obwohl Lauscha seit 1867 eine eigene Gasanstalt besaß, war die Gasversorgung ein weiteres dringendes Problem. So benötigte man Jahre, um den Bedarf an Kunstaugen abzudecken. Waren es vorerst nur deutsche Patienten, die versorgt werden mußten, kamen bereits 1919 amerikanische Einkäufer in großer Zahl nach Thüringen. Dieser "Massenbedarf" führte prompt zum wiederholtem Male zur "Massenfabrikation". Nur wenige erkannten den eigentlichen Wert dieser anstrengenden Arbeit, die nicht nur Broterwerb, vielmehr eine Kunst darstellt und leider in keinem Verhältnis zu den (inzwischen wieder) gefallenen Preisen stand.
Ende 1919 gründete man nach längeren Verhandlungen die "Gesellschaft zur Herstellung künstlicher Menschenaugen m.b.H. OCAR". Bereits vorher hatte die Fa. Carl Zeiss, Jena großes Interesse an der Augenbläserei bekundet, so daß im März 1920 ein Vertrag unterzeichnet wurde, der die OCAR als Nebenstelle von Zeiss bezeichnete. Durch den von Zeiss zentral geleiteten Absatz sah man eine einheitliche Preispolitik bei entsprechender Qualität, durch eine Kontroll- und Versandstelle in Lauscha überwacht, als gewährleistet. Aus Mißtrauen, Angst vor Verlust der Selbständigkeit, sich in Abhängigkeit von Verlegern zu begeben, traten einige Augenhersteller der OCAR nicht bei, waren indes dem “Verband deutscher Glasinstrumentenfabrikation Ilmenau“ angeschlossen oder auch freischaffend tätig. Eine Einigung hatte man wiederum, es scheint das Hauptproblem bei Individualisten zu sein, nicht erzielen können und der Konkurrenzkampf ging munter weiter. Die OCAR, später von der Fa. Zeiss als unrentabel abgestoßen, wurde später aufgelöst.

● ab 1945
Nach dem Krieg 1945 nahm unter Felix Müller-Uri die erste aus selbständigen Augenkünstlern bestehende AG ihre Tätigkeit auf. Die zweite, die Fa. Otto Müller-Hipper 1946 enteignet, wurde unter Leitung eines sowjetischen Industrieoffizieres als Sowjetische AG weitergeführt. In dieser Zentrale wurde die Auftragserteilung und der lückenlose Versand der gesamten Produktion des Reparationsaufkommens bewerkstelligt (Tausende in Kollektionen zusammengestellte Kunstaugen). Ende 1946 in Volkseigentum überführt, begann man hier, den ersten Volkseigenen Betrieb (VEB) zu installieren. In diesen und den folgenden Jahren verließen viele, vor allem jüngere Fachkollegen Lauscha, um vor allem in den westlichen Besatzungszonen ihr Glück zu suchen.

Aus dem 1948 gegründeten VEB Glasaugenfabrik Lauscha, später ins Leben gerufene Produktionsgenossenschaften des Handwerkes (PGH), Abteilungen des VEB Glaswerke Lauscha (1955), dem VEB Thüringer Christbaumschmuck Lauscha (ab 1970), dem VEB Glasschmuck Lauscha, dem späteren VEB Lauschaglas (1973) entstand der VEB Glaskunst Lauscha (1981), überführt in ein Kombinat (Kombinat Wohnkultur Suhl), das, wie alle anderen Glasbläser auch ebenso alle Augenhersteller unter einen einzigen, nämlich den volkseigenen Hut zwängte, ”um die Exportrentabilität zu erhöhen“.
Aber selbst im Sozialismus, wir kennen bereits die Hartnäckigkeit der Augenkünstler aus der bisherigen Geschichte, gab es drei Ausnahmen: Fa. Walter Bäz in Rostock, Fa. Müller-Schmoß in Berlin und Fa. Wolf  Stauch in Leipzig.

In der DDR gab es trotz Zwangskollektivierung an der Berufsfachschulausbildung keine Änderungen. Neben den technisch ausgerichteten Glasbläserberufen wurden vor allem in Lauscha die künstlerischen
Spezialisierungsrichtungen weiterhin ausgebildet.
Kunstaugenbläser und Facharbeiter für Augenprothetik erhielten weiterhin ihre Grundausbildung (erst 3, dann 2 1/2 Jahre) in Form der zweigeteilten Ausbildung in Berufsfachschule und Ausbildungsbetrieb mit staatlichem Abschluß Facharbeiter. Daneben war eine Meisterausbildung in Industrie sowie im Handwerk möglich, die Meisterqualifikation im Handwerk als Zulassungsvoraussetzung für die Krankenkassen zwingend. So konnten alle in der DDR selbständigen Augenprothetiker einen Meisterbrief vorzeigen. Die Praktik mit staatlichem Abschluß existierte bis zur Wiedervereinigung Deutschlands.

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Theo Knauer
Jahrgang 1952, lebt und arbeitet in Berlin.
Er ist Augenprothetikermeister und Vorstand des BVDA e.V.

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